Als kleiner Nachtrag zum Jubiläums-Corteo ist hier nun unser Redebeitrag zum Nachlesen.
„Liebe Werder-Fans,
wir sind heute hier, um unseren SV Werder zu feiern. Grund genug um heute zu feiern, dürfte bei weitem schon der Achtelfinal-Erfolg am Dienstag in Dortmund gewesen sein, wo unsere Pokalhelden die Schwarz-Gelben im Elfmeterschießen ausstachen und die Dortmunder Pokalträume zunichtemachten. Erinnerungen kamen hoch an längst vergangene Tage, in denen sich die Grün-Weißen durch Europa zauberten und die Presselandschaft voll war von Berichten über die Wunder von der Weser. Der Grund, aus dem wir heute hier versammelt sind, ist jedoch ein anderer: 120 Jahre Sport-Verein Werder!
Als am 04. Februar 1899 einige 16-jährige Schüler einer Privatrealschule nach dem Sieg eines Tauzieh-Wettbewerbs und dem Erhalten ihres Preises – einem Ball – den Fußball-Verein „Werder“ gründeten, war der Grundstein für eine grün-weiße Erfolgsgeschichte an der Weser gelegt. Besonders diszipliniert war man damals aber wohl nicht, so heißt es. Man trank mit Vergnügen und sang wann immer es grad passte lautstark das Gründungslied „Unsere Farben – Grün-Weiß-Grün“. Die erste Sportanlage lag auf dem heutigen Stadtwerder, der dem Verein bekanntlich seinen Namen gab. Hier fühlte man sich unbeobachtet und konnte frei und unbekümmert Sport treiben. Die als Statussymbol geltende Schülermütze blieb auch bei den Spielen auf und so verzichtete man in den ersten Jahren zunächst auf das sogenannte „Kopfspiel“. Dem Erfolg schadete dies jedoch nicht, denn bereits im Gründungsjahr gewann der FV Werder die Bremer Meisterschaft. Ab 1902 bestritt man die ersten internationalen Freundschaftsspiele. 1906 begann man die Spiele im alten Stadion in Huckelriede zu bestreiten, ehe die Grün-Weißen 1910 die Meisterschaft in der Niedersachsen-Liga Bremen/Unterweser gewannen. 1913 qualifizierten sich die Werder-Kicker als einziges Bremer Team für die Norddeutsche Verbandsliga, aus der man ein Jahr später wieder abstieg.
Der erste Weltkrieg hielt Einzug in Europa und bedeutete zunächst das Aus für den Fußball und das Bremer Vereinsleben. Viele Fußballer blieben eh nicht übrig – der Großteil wurde vom Militär eingezogen und zog in den Krieg. 4 Jahre strichen ins Land, ehe der Krieg vorbei war und das Vereinsleben in Bremen wieder an Fahrt gewann. Auch beim FV Werder änderte sich einiges. Man öffnete sich weiteren Sportarten wie Leichtathletik, Tennis, Handball und Rugby, änderte den Vereinsnamen zu Sport-Verein Werder und erlaubte auch den sportbegeisterten Frauen die Mitgliedschaft im Verein – nur Fußball spielen durften sie nicht. Die Mitgliederzahlen stiegen und auch der sportliche Erfolg der Grün-Weißen kam mit der Zeit: Man spielte mal in dieser, mal in jener Klasse, belegte stets vordere Plätze und begriff den Fußball mittlerweile auf eine semi-professionelle Art und Weise.
1930 zog man dann ins vier Jahre zuvor erbaute Weserstadion, wo man fortan und bis heute seine Spiele bestreitet. Doch neben den sportlichen Erfolgen, die man in den Folgejahren für sich verbuchen konnte, sind es vor allem die Jahre 1933 bis 1945, die ihre braunen Schatten auf den Verein werfen. Statt einer großen Liga mit Spitzenfußball unter professionellen Bedingungen, wie vom DFB angedacht, teilten die Nazis nach ihrer Machtübernahme die Liga in mehrere Gau-Ligen auf, deren Meister in einer Endrunde die nationale Meisterschaft ausspielten. Des Weiteren wurden etliche Spieler zur Wehrmacht einberufen oder als Juden vom Vereinsleben ausgeschlossen und verfolgt – so zum Beispiel Werders damaliger Jugendspieler Leo Weinstein.
Die Struktur des Vereins änderte sich ebenfalls. Nachdem der jüdische Vereinspräsident Alfred Ries zwei Jahre vor der Machtübernahme der Nazis den Verein verließ, wurde er nun von Willy Stöver ersetzt. Stöver war linientreu und stets bemüht, den SV Werder in den Dienst der politischen Ziele des NS-Regimes zu stellen. Der Verein bekannte sich zum Wehrsportgedanken, führte schon im Mai 1933 das Führerprinzip ein, wodurch der Vorstand durch einen alleinigen Vereinsführer ersetzt wurde, und sicherte mithilfe eines sogenannten Dietwarts die Festigung der nationalsozialistischen Werte – lange bevor dieser überhaupt gesetzlich vorgeschrieben war. Das Weserstadion, mittlerweile in Bremer Kampfbahn umgetauft, diente vor allem Nazi-Aufmärschen wie der Rekrutenvereidigung 1935. Fußball wurde zur Nebensache. Abgelöst wurde Stöver 1937 von Adolf Hecht – ebenfalls linientreuer, überzeugter Nationalsozialist, der bereits 1931 in die NSDAP eintrat und bei den Bremer Bürgern und Bürgerinnen in seiner leitenden Funktion im Arbeitsamt als „ganz gemeiner Nazi“ bekannt war. Gerade mit Blick auf diesen Teil der Vereinsgeschichte ist es heute umso wichtiger, dass der SV Werder mit gutem Beispiel vorangeht und sich für Toleranz und gegen Rassismus, Antisemitismus und andere Diskriminierungsformen ausspricht. Deutlichen Worten wie zuletzt denen von Dr. Hubertus Hess-Grunewald gehört daher applaudiert und zugestimmt.
Nach Kriegsende dauerte es eine Weile, ehe man den Vereinsbetrieb wieder aufnahm. Grund dafür waren unter anderem die Verfügungen des US-Militärs, welches Bremen und Bremerhaven verwaltete. Am 10. November 1945 kam es dann zur Fusion der Vereine Sport-Verein Werder Bremen von 1899 und den 1933 von den Nazis verbotenen Vereinen TV Vorwärts Bremen und Freie Schwimmer von 1910 Bremen zum sogenannten TuS Werder 1945. Da das US-Militär jedoch darauf beharrte, von Vereinsnamen aus der NS-Zeit abzusehen, änderte man wenige Monate später den Namen in SV Grün-Weiß von 1899, ehe man im März 1946 wieder zum alten Namen zurückkehren konnte.
Die Nachkriegsjahre bedeuteten den sportlichen Aufstieg des SV Werders. Über die Niedersachsenliga Nord ging es in die Oberliga, ehe man 1963 als Gründungsmitglied in die erste Bundesliga-Saison startete. Von hier an ist uns allen die Geschichte des SV Werders und seines Aushängeschilds dem Profifußball bestens bekannt. Direkt im zweiten Jahr der Bundesliga holte man unter Trainer Willi Multhaupt die Meisterschaft an die Weser. Anschließend wurde es etwas stiller um die Elf in Grün und Weiß. Es folgten Jahre im Mittelmaß und der Abstieg in die zweite Liga.
Doch das Intermezzo in Liga Zwei war nicht von langer Dauer. Nur ein Jahr später und mit einer Erfolgsserie von 25 Spielen ohne Niederlage stieg der SV Werder 1981 wieder auf und begann mit Otto Rehhagel am Ruder seine ruhmreiche Zeit. Vizemeister in den Jahren 1983, 1985 und 1986, Deutscher Meister 1988, Pokalsieger 1991, Europapokalsieger 1992, Deutsche Meister 1993, Pokalsieger 1994 und Vizemeister 1995. Nach 14 Jahren endet die Ära Rehhagel und ganz Bremen trauerte um König Otto. Es dauerte 4 Jahre und einige Trainierwechsel, ehe am 10. Mai 1999 ein gewisser Thomas Schaaf das Steuer des vom Abstieg bedrohten SV Werder übernahm und neben dem Klassenerhalt in einem Endspielkrimi im DFB-Pokal den SV Werder zum vierten Pokalerfolg der Vereinsgeschichte führte. Was für ein Einstand! Doch damit sollte es nicht enden. Völlig überraschend spielte sich die Schaaf-Elf in der Saison 2003/2004 durch die Bundesliga und konnte sich am 8. Mai 2004 durch einen 1:3-Auswärtssieg gegen den FC Bayern vorzeitig zum Meister krönen, ehe man sich wenig später auch den DFB-Pokal sicherte – Double-Sieger! Die Folgejahre waren grandios: Vizemeister 2006 und 2008, Champions League und etliche Wunder von der Weser. Montags beim Arzt den gelben Schein holen, um am Mittwoch in Mailand, Barcelona oder sonst wo die grün-weißen Fahnen wehen zu lassen. Man, wir schlugen sogar Real Madrid! Erinnerungen in denen wir noch heute gerne schwelgen und die uns träumen lassen. 2009 dann der erneute und vorerst letzte Pokalerfolg. Aber auch das Finale in Istanbul…
Die Ära Schaaf endete nach einigen schwierigen Jahren in der Saison 2012/2013 nachdem man sich am 33. Spieltag gerade noch so an das rettende Ufer klammern konnte und so begann das Trainer-Karussell sich zu drehen. An dieser Stelle bleibt vor allem eines zu sagen: Danke, Thomas! Danke für die schöne Zeit!
Schauen wir auf diese Zeit zurück, so sind vor allem einige Namen hervorzuheben, die sich ihrer Zeit in unsere Herzen und die Vereinschroniken gespielt haben: Pico Schütz, Horst-Dieter Höttges, Klaus Matischak und Max Lorenz beispielsweise, die maßgeblich an der ersten Meisterschaft beteiligt waren. Dieter Burdenski und Kalli Kamp. Marco Bode, Dieter Eilts, Andy Herzog und Mirko Votava. Uli Borowka, Wynton Rufer und Rune Bratseth. Ailton, Johan Micoud, Frank Baumann, Torsten Frings, Diego und Claudio Pizarro und nicht zuletzt Otto Rehhagel und Thomas Schaaf.
Die Liste wäre zu lang, um sie hier komplett zu verlesen und der SV Werder ist eben auch mehr als nur die Profifußball-Abteilung und ihre herausragenden Spieler oder Trainer. Auch die Abteilungen Schach, Handball, Leichtathletik, Tischtennis sowie Korb- und Prellball und nicht zuletzt die Abteilung Frauenfußball haben über die Jahre hinweg wichtige Erfolge eingefahren und den Verein in ihren Sportarten bestmöglich repräsentiert. Auch ihnen gilt unser Dank und Respekt!
120 Jahre SV Werder bedeuten jedoch auch 120 Jahre Fangeschichte. Nun ist wenig überliefert aus der Zeit bevor die Kutten aus dem Stehplatzbereich der Nordtribüne aufgrund des Stadionumbaus mehr oder weniger notgedrungen in die Ostkurve wechselten und diese zum Herzstück des Stadions machten. Im Jahre 1936, so heißt es, seien Werder-Anhänger stets mit Sonderzügen zu den Auswärtsspielen der Grün-Weißen gereist. Nur einige wenige Berichte über die Schlachtenbummler der 60er-Jahre sind bekannt. Am bekanntesten dürfte hier vor allem das „Wer glaubt an Spuk und Geister? Werder, Deutscher Meister!“-Transparent sein, welches einige Anhänger*innen anlässlich der ersten Meisterschaft 1965 gemalt hatten. Auch über die späten 70er lässt sich nicht vieles finden. In einem Bericht heißt es, zu der Zeit sei der Ton auf den Rängen rauer geworden und erste Machtkämpfe auf den Rängen hätten den Nährboden für eine rechts-offene Kurve geschaffen.
In den 1980er Jahren überwiegt dann vor allem das Derby 1982, bei dem es in Hamburg zu Auseinandersetzungen kam und der 16-jährige Werder-Fan Adrian Maleika von einem Stein getroffen zu Boden ging und mit Tritten gegen den Kopf so stark verletzt wurde, dass er wenig später den Verletzungen erlag. Vertreter und Fan-Delegierte beider Vereine trafen sich knapp zwei Monate später in Scheeßel und vereinbarten ein „Stillhalteabkommen“ um Racheakte zu verhindern. Ungefähr zur gleichen Zeit nahm das Fan-Projekt Bremen seine sozialpädagogische Arbeit auf und etablierte sich zu einer festen Instanz und Anlaufstelle für Werder-Fans.
Doch die 1980er und 1990er Jahre standen – wie überall – auch in Bremen im Zeichen des Hooliganismus. Zur gleichen Zeit begannen die Neo-Nazis ihre neuen Kameraden in den Stehplatzbereichen der Stadien zu rekrutieren und so war es nicht unüblich, dass sich Hooligangruppen überwiegend aus rechtsradikalen Hauer-Trupps zusammensetzen. So auch in Bremen, wo die Standarte in den 90er Jahren den Ton angab und sich auch die 1997 gegründete Eastside zunächst unterzuordnen hatte. Was jedoch mit der Jahrtausendwende so langsam sein Ende finden sollte. Denn durch die fortschreitende Etablierung der Ultrà-Kultur in Deutschland entwickelten sich auch verschiedene Auslegungen dessen was Ultrà überhaupt bedeutet. Allen voran der vor 6 Jahren verstorbene Jan Hoppe ist hier zu nennen, der dieser Zeit viele junge Ultras prägte und das Engagement gegen die Nazis in der Kurve förderte. So fand sich 2002 mit dem Cercle d’Amis die erste offen antifaschistische Gruppe in der Ostkurve zusammen und der Gegenwind gegen die Nazi-Hooligans nahm zu. Natürlich nicht konfliktfrei! Uns allen ist der Begriff „Ostkurvensaal-Überfall“ bestens bekannt, doch der Angriff von kampferprobten Nazi-Hooligans auf junge Ultras war nur die Spitze des Eisbergs, denn schon vorher gab es Angriffe und Einschüchterungsversuche.
Der Überfall 2007 und die Aufarbeitung seitens des Vereins, der Fanszene und des Fanprojektes waren jedoch entscheidend dafür, dass sich die Werder-Fanszene geschlossen und mit gestärktem Rücken gegen dieses menschenverachtende Gedankengut stellte und wir heute in einer Ostkurve stehen, in der Nazis und diskriminierende Gedanken keinen Platz mehr haben. Dies hat zuletzt auch die großflächige Aktion am dritten Spieltag dieser Saison gezeigt, bei der die gesamte Ostkurve mit mehreren Spruchbändern eine klare Kante gegen Rechts bewies. Neben dem Lob und dem Respekt für all diejenigen, die sich den Hooligans damals und heute entgegenstellen, gilt der Dank jedoch auch dem Verein, der sich durch seine ebenfalls klare Haltung einerseits zum Vorbild für viele junge Fans macht und andererseits uns allen in unserer Arbeit den Rücken stärkt. Dies ist leider nicht überall der Fall! Danke Werder!
Und nun lasst uns gemeinsam zum Stadion ziehen. Lasst uns dem Rest der Stadt zeigen, was uns dieser Verein bedeutet und lautstark seinen Namen durch die Straßen rufen.
Alle sollen es hören: Wir sind Werder Bremen!“
Caillera Ultras, Februar 2019