»Justice pour Théo – Gegen institutionellen Rassismus!«
Februar 15, 2017 in Spruchbänder
Anfang Februar gab es in Aulnay-sous-Bois in der Pariser Banlieue mehre Personalienfestellungen aufgrund des Verdachts von Drogenhandel. Unter den kontrollierten Personen befand sich auch Théo, der im Rahmen des Polizeieinsatzes Opfer schwerster Misshandlungen wurde. So wurde dem 22-jährigen Sozialarbeiter während er am Boden lag ein Polizeischlagstock rektal eingeführt, was zu schwersten inneren Verletzungen führte. Anschließend wollten die 4 Polizeibeamten Théo dazu zwingen, sich hinzusetzen, was ihm aufgrund seiner Verletzungen nicht möglich war, und sprühten ihm Pfefferspray aus nächster Nähe ins Gesicht und in den Mund. Wir können also von einem Polizeieinsatz sprechen, der durchaus als Folter bezeichnet werden kann.
Auffällig ist, wie so häufig beim Thema Polizeigewalt, dass das Opfer optisch nicht dem entsprach, was der rassistische, weiße Mann traditionell als „einheimisch“ betrachten würde. An dieser Stelle sei beispielsweise auf die USA verwiesen, wo Nicht-Weiße einem höheren Todesrisiko bei Polizeieinsätzen ausgesetzt sind als weiße US-Amerikaner*innen. Auch sei auf den Umgang der Berliner Polizei mit dem ersten Terrorverdächtigen im Rahmen des Anschlags auf den Berliner Weihnachtsmarkt verwiesen, welcher von einem folterähnlichen Umgang berichtete. Diese Reihe von Beispielen ließe sich noch lange weiterführen, z.B. mit dem Verweis auf Oury Jalloh, der 2005 in seiner Gefängniszelle in Dessau unter bisher ungeklärten Umständen zu Tode kam. All diese Beispiele belegen am Ende eines: dass die Polizei ein Rassismusproblem hat. Denn auch wenn augenscheinliche Weiße regelmäßig von willkürlichen Polizeimaßnahmen betroffen sind – das wissen Fußballfans nur zu gut – so ist doch offensichtlich, dass die oben beschriebene Gewalt sich auf einer ganz anderen Ebene abspielt.
Dieses jüngst in Paris geschehene Ereignis regt einmal mehr dazu an, über institutionellen Rassismus zu sprechen. Der Begriff „institutioneller Rassismus“ bezeichnet einen unangemessen, mitunter diskriminierenden Umgang mit Menschen aufgrund angenommener oder tatsächlicher Kriterien wie „Hautfarbe“, kulturellem Hintergrund oder ethnischer Herkunft innerhalb von (staatlichen) Institutionen. Der institutionelle Rassismus kann sich in Einstellungen und Verhaltensweisen widerspiegeln, die durch unbewusste Vorurteile, Nichtwissen, Gedankenlosigkeit und rassistische Stereotype zu Diskriminierung führen und Menschen benachteiligen. Das kann zum Beispiel ein respektloser Umgang oder eine direkte Benachteiligung bei Ämtern sein, wenn es beispielsweise darum geht, staatliche Unterstützungsgelder zu beantragen. Aber auch das zahlreiche Versagen der Behörden, bei Straftaten rassistische Tathintergründe zu erkennen (bestes Beispiel: NSU), sind Hinweise auf die Existenz von institutionellem Rassismus.
Die deutsche Bundesregierung will von all dem nur leider nichts hören und nichts sehen und lehnt die „pauschale und unreflektierte Verwendung des Begriffs institutioneller Rassismus“ ab. Alles Einzelfälle und Ausnahmen, Rassismus gibt es nur bei extrem Rechten. Klar.
Das wesentliche Merkmal des institutionellen Rassismus ist hierbei, dass Institutionen, sprich der Staat, nicht-weiße Mitmenschen nicht vor diesem alltäglichen, strukturellen Rassismus schützt oder sogar offensichtlich selbst an der Benachteiligung beteiligt ist.
Als letztes Beispiel sei hier an dieser Stelle noch kurz auf das Thema „Racial Profiling“ verwiesen. Im Vorfeld der Silvester-Feierlichkeiten 2016/2017 in Köln wurden mehrere hunderte nicht-weiße Menschen auf dem Kölner Bahnhofsvorplatz festgehalten. Die Polizei kommunizierte während dieser Maßnahmen, um die weiße Mehrheitsgesellschaft in Sicherheit zu wiegen, dass es sich hier ausschließlich um nordafrikanische Intensivtäter handeln würde und belegte die Betroffenen direkt mit der stigmatisierenden Abkürzung „Nafri“. Auf die Frage, wie man denn feststellen könne, ob es sich denn wirklich um einen nordafrikanischen Intensivtäter handele, antwortete die Polizei nur lapidar, man wisse doch, wie die aussehen. Sollte euch der Rassismus an dieser Stelle noch nicht ins Gesicht springen, so sei noch darauf hingewiesen, dass der tatsächliche Anteil der Nordafrikaner im Endeffekt nur relativ gering war. Wie die Polizei im Vorfeld festgestellt haben will, dass es sich wirklich um Intensivtäter handelte, sei an dieser Stelle ebenfalls mal dahingestellt. Dass jedoch das Sicherheitsbedürfnis der weißen Mehrheitsbevölkerung von staatlicher Seite aus höher eingeschätzt wird als das im Grundgesetz verbriefte Recht auf die Gleichbehandlung aller Menschen, ist ein weiteres klares Beispiel von staatlichem Rassismus, unabhängig wie nachvollziehbar das Sicherbedürfnis der Mehrheitsgesellschaft auch scheinen mag.
Théo ist nun also auf besonders schmerzvolle und erniedrigende Art und Weise Opfer des institutionellen Rassismus geworden. Er gibt dem institutionellen Rassismus einen Namen und ein Gesicht, sodass wir ihm heute unsere moralische Unterstützung zusichern wollen.
Weil es sich jedoch um einen dermaßen eklatanten Fall handelt und da nicht sein darf, was nicht sein kann, bekommt Théo jetzt auch Aufmerksamkeit von denjenigen, die sonst selbst Teil des institutionellen Rassismus sind. Auffällig ist zum Beispiel, wie häufig seitens der staatlichen Instanzen und der Medien erwähnt wird, dass Théo bislang nicht straffällig wurde. Es wirkt so, als müsste zwanghaft kommuniziert werden, dass ausnahmsweise die Polizeigewalt den Falschen getroffen zu haben scheint. Einzelfall und so. Präsident Francois Holländer stattete Théo schon einen Krankenbesuch ab und auch die Justiz kündigte direkt schärfste Strafverfolgung an. Es gilt jedoch hierbei zu berücksichtigen, dass es sich um eine medial bedingte Momentaufnahme handelt. Wie Justiz und Polizei, in diesem Fall als Arbeitgeber, mit einigen Monaten Abstand mit den Tätern umgehen werden, sei an dieser Stelle ebenso dahingestellt. Ist es doch ebenso Teil des institutionellen Rassismus, dass in der weißdominierten Mehrheitsgesellschaft rassistisches Verhalten häufig schwächer geahndet wird.
Wir sprechen also Théo unser Mitgefühl aus und fordern, dass ihm Gerechtigkeit widerfährt: Justice pour Théo!
Wir wissen jedoch auch, dass dies nur ein Fall unter vielen ist und solidarisieren uns mit allen Betroffenen. Schluss damit! Gegen jeden institutionellen Rassismus!